Südtiroler Königstour - Der Gipfel

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Da wir schon ab vier Uhr nicht mehr schlafen konnten, war das Aufstehen nicht so schlimm wie befürchtet. Auch für die rudimentäre Körperpflege am Morgen konnten wir uns Zeit lassen und hatten das große Waschbecken im Flur zunächst für uns alleine, da alle anderen Gipfelstürmer noch schliefen. Um halb fünf
saßen wir pünktlich am Frühstückstisch, der schon mit Brot und allen möglichen Aufstrichen gedeckt war. Dazu gab es Kaffee, der ruhig ein wenig stärker hätte sein können. Aber was solls, so früh am Morgen bekommt man eh nicht viel runter. Nochmal schnell Rucksack und Inhalt überprüft, dann ging es vor die Hütte. Mittlerweile war es etwa fünf Uhr morgens und die Dämmerung schon in vollem Gang, sodass wir keine Stirnlampen benötigten. Der Bergführer nahm uns ans Seil und wir starteten zunächst gemütlich auf einem schmalem Bergpfad. Bald jedoch
wurde es felsiger und steiler. Ein Genuss! Fester und griffiger Fels, wunderbare Tiefblicke, dazu ein umwerfender Sonnenaufgang und gute Stimmung. Ein bisschen Stau gab es am sogenannten "Wandl" (hier ein gutes Bild), eine mit Ketten entschärfte, gut 35m hohe Felswand, die es zu durchklettern gilt. Da es dort ausreichend Sicherungsmöglichkeiten gibt, und wir uns mit unserem
Bergführer absolut sicher fühlten, konnten wir uns absolut aufs Klettern konzentrieren und jeden Schritt genießen - jedenfalls ging es mir so. Auch die folgende Gratkletterei mit schaurig-schönen Tiefblicken zu beiden Seiten machte richtig Spaß. Man muss an dieser Stelle aber auch dazu sagen, dass wir sehr viel Glück mit dem Wetter hatten. Obwohl es Tage vorher noch richtig viel Schnee gegeben hatte, war der Fels trocken und nirgends mit einer gefährlichen Eisglasur
übersehen. Nach einer kurzen Querung eines aus zusammengefrorenen Steinchen bestehenden Hangs war es an der Zeit, die Steigeisen anzuziehen. Voll motiviert ging es über feinsten Knusper-Firn zur ersten Schwierigkeit des Gletschers. Hier muss eine kurze Stelle mit der Frontalzacken-Technik überwunden werden, da sie zum normalen Gehen zu steil ist. Auf dem Rückweg wurden wir daher an einer nicht weit entfernten Stelle über den
Tschierfegg-Felsen abgeseilt, doch dazu später mehr. Am Lombardi-Biwak stand nun nach knapp zwei Stunden die erste Pause an. Wir lagen gut in der Zeit und hatten in der Zwischenzeit sogar eine Seilschaft überholt. Das nächste steile Stück hatte es dann aber wieder in sich. Ich merkte, wie meine Fußgelenke zu
schmerzen begannen, und auch die Kraft in den Beinen ließ nach. Oben angekommen forderten wir eine weitere Pause, doch unserer Bergführer meinte nur, wir ständen auf einer riesigen Spalte, daher müssten wir weiter gehen. Brav, aber erschöpft folgten wir ihm zu einer ungefährlichen Stelle, wo wir kurz anhielten und den Puls wieder etwas beruhigen konnten. Mittlerweile war die Höhe doch leicht zu spüren, gepaart mit einer allgemeinen Erschöpfung nach über zwei Stunden Aufstieg. Allzu lang wollten wir
aber auch nicht stehen bleiben, denn auf dem oberen Ortlerplatt wehte ein starker und eisiger Wind, dessen Böhen mich einige Male aus der Bahn warfen. Im nächsten Augenblick war es dann wieder absolut windstill... Auf jeden Fall konnten wir bereits das Gipfelkreuz sehen und Richtung Stilfserjoch und der weit entfernten Bernina das zu erwartende Panorama erahnen. Als wir dann endlich am Gipfel ankamen, wurde mir wie so viele Male zuvor klar, warum man sich die Mühen eines strapaziösen Aufstiegs antut. Der Ausblick war einfach atemberaubend! Dazu das
unbeschreibliche Gefühl, es bis ganz nach oben geschafft zu haben - einfach herrlich. Wir hatten ab der Payerhütte drei Stunden und etwa 15 Minuten gebraucht, was gar nicht mal schlecht für eine Dreierseilschaft plus Bergführer ist. Natürlich durfte das Gipfelbild nicht fehlen, doch aufgrund des kalten Windes hielten wir es nicht sonderlich lange am
höchsten Punkt aus. Wir stiegen daher ein kleines Stück ab und machten an einer windgeschützteren Stelle Rast. Beim weiteren Abstieg kamen uns dann einige Seilschaften entgegen, wobei mir klar wurde, dass es wohl wirklich das beste ist, wenn man als erstes oben ist. So wird man nicht auf den letzten Metern (oder sogar schon auf den ersten) von bereits erfolgreichen Bergsteigern begrüßt und ermuntert, durchzuhalten. Bis zum Rand des Ortlerplatts konnte man auch endlich während des Gehens mal den Blick schweifen lassen, doch dann
wurde es wieder ernster und jeder Schritt forderte Konzentration. Wir waren am zweiten Steilstück angekommen, welches von oben betrachtet um ein vielfaches furchteinflößender aussieht, da man die unweigerlichen Konsequenzen eines Ausrutschers direkt vor Augen hat: Eine Schlitterpartie über den Gletscher bis zum Sturz in eine der vielen offenen
Spalten. Damit es nicht soweit kommen konnte, sicherte uns unser Bergführer an der heikelsten Stelle zusätzlich mit einer Eisschraube. Kurz darauf wollte ich (mal wieder) meinen Augen nicht trauen. Ein sicherlich über 60 Jahre alter Mann kam uns alleine und statt mit Eispickel mit Wanderstöcken entgegen... (Dazu muss man wissen, dass der Pickel im Falle eines Sturzes als Bremsgerät unerlässlich ist.) Die Wahrscheinlichkeit, in eine verdeckte Spalte zu stürzen, tat er als winzig klein ab und machte sich gut gelaunt an den weiteren Aufstieg. Wir konnten nicht mehr als den Kopf schütteln und setzten
ebenfalls unseren Weg fort. An den Tschierfegg-
Felsen war noch einmal Rast angesagt, bevor das wohl Spaßigste der gesamten Unternehmung anstand: Abseilen! Den Jungs war es anscheinend ziemlich mulmig, als sie sich nacheinander an den Rand des etwa 15m hohen Abgrundes stellen mussten, um von dort aus langsam am Seil abgelassen zu werden. Ich kannte sowas ja vom Klettern, aber mit Steigeisen ist das Abstoßen von der Wand doch noch einmal kniffliger. Leider war die Schwebepartie schnell wieder vorüber und die letzten Meter auf dem Gletscher standen an. Nachdem wir die Steigeisen verstaut hatten, legten wir das nächste Stück wieder auf dem am Morgen noch aus einem brettharten Gemisch von Kieselsteinen und Eis bestehenden Hang zurück, der nun, fünf Stunden später, deutlich schottiger und damit rutschiger war. Dies zeigt anschaulich, wie wichtig es ist, solche durch das Auftauen der Eisschicht
steinschlaggefährdeten Stellen früh am Morgen oder in der Nacht zu passieren. Der Abstieg über die Felsen war schließlich wieder genussvoll, wobei man hier wohl erwähnen sollte, dass man am Ende noch einmal einige Meter aufsteigen muss, da es ganz zu Beginn der Tour zunächst ein wenig nach unten geht. Auch auf den letzten Metern hieß es, konzentriert
am Abhang entlang zu steigen, bis wir schließlich um 11:30 Uhr wieder an der Payerhütte standen und uns auf ein leckeres Getränk und etwas warmes zu Essen freuten - schließlich war nun bereits Mittagszeit und ich hatte seit dem Frühstück nur einen Powerriegel gegessen. Nachdem wir uns mit Toni noch die Bilder auf der Kamera angesehen hatten, nahmen wir glücklich und stolz die restlichen 700 Höhenmeter hinunter nach Sulden in Angriff.

Ich denke, man kann meinen vorherigen Ausführungen schon entnehmen, dass mir die Tour einfach wahnsinnig viel Spaß gemacht hat. Die Bedingungen, das Wetter, die Menschen, meine persönliche Konstitution - es hat einfach alles gestimmt. Nächstes Jahr dann über den Hintergrat auf diesen wunderschönen Berg!

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