Zwischen Freud und Leid an der Hohen Villerspitze (3087m)

Lieber eine gemütliche Alpinkletterei auf einen unbedeutenden Gupf oder eine anspruchsvolle alpine Bergtour auf einen "richtigen" Gipfel? Die Mehrheitsentscheidung fiel auf Letzteres. Und es sollte eine sehr coole Tour werden - bis auf die Sache mit den Wolken...


Da abermals für den Nachmittag Gewitter gemeldet waren, hieß es wie am Vortag: früh aufstehen. Um kurz vor sieben verließen wir die Hütte. Mit schweren Rucksäcken (wir würden nicht wieder zur Hütte zurückkehren) wanderten wir zunächst gemächlich Richtung Horntaler Joch und genossen nebenbei die herrliche Morgenstimmung.



Kurz vor Ankunft am Joch bogen wir auf einem kaum auszumachenden Pfad nach rechts ab und suchten uns im immer steiler werdenden Gras einen gangbaren Weg Richtung Südgrat der Villerspitze.


Bis wir den richtigen Einstieg gefunden hatten verging eine kleine Weile, doch irgendwann (wir hatten zunächst zu weit unten gesucht) erspähte ich den gelb-roten Markierungspunkt. Hier deponierten wir unsere nicht benötigten Sachen. Die Klettergurte zogen wir an, das Seil verstauten wir zunächst im Rucksack. Laut Beschreibung sollte es nun erstmal in verhältnismäßig einfachem Gelände weitergehen. Verhältnismäßig. Aus unterschiedlichen Gründen empfanden wir wohl alle eine gehörige Portion Respekt vor dem Berg und gingen daher selbst das Gehgelände mit einer gewissen Anspannung an.


Wir einigten uns darauf, das Seil rauszuholen und zu sichern, sobald sich einer von uns auch nur annähernd unsicher fühlen sollte.

Nach einer unangenehm nassen Passage in der Westflanke traten wir erneut über den Südgrat und kraxelten ein paar Meter durch die Ostseite, um kurz nach einer Gedenktafel erneut in die Westseite zu wechseln.


Dank der blinkenden Haken war der Weiterweg offensichtlich: Vor uns lag der "Schiefe Gang". Nachdem ich auf hikr.org ein Foto dieser Passage gesehen hatte, ging ich davon aus, dass wir spätestens hier das Seil auspacken würden. In einer anderen Beschreibung klang das Ganze dagegen viel harmloser - und das war es aus unserer Sicht letztendlich auch.



Wir brachten also auch dieses - freilich sehr exponierte - Wegstück ohne Probleme (und ohne Seil) hinter uns. Es folgten ein paar Meter schottriges und weiterhin ausgesetztes Gehgelände, das ebenfalls keine Fehler verzeiht. Nach einem Rechtsschwenk lag schließlich der vorletzte Abschnitt, eine etwas längere Rinne vor uns. Da somit klar war, dass nun zumindest die Orientierung kein Problem mehr sein würde, genossen wir die immer wieder sehr schöne Kletterei in vollen Zügen.



Bei der Verzweigung hielten wir uns wie beschrieben links und stießen schon bald auf den finalen Nordwestgrat. Dieser ist nochmals leicht ausgesetzt, aber klettertechnisch kein Problem. Einzig auf den herumliegenden Schutt sollte - wie in der gesamten Route - geachtet werden.



Um kurz nach 11 Uhr erreichten wir schließlich zufrieden das schöne Gipfelkreuz und breiteten uns für eine ausgedehnte Rast aus. Wir genossen den einsamen Gipfel, die Aussicht und die Gewissheit, einen anspruchsvollen, eher selten bestiegenen Berg entgegen unseres Anfangsgefühls doch verhältnismäßig easy erreicht zu haben.





Irgendwann stieg jedoch eine gewisse Nervosität ob der Wolkenentwicklung im Westen auf, sodass wir etwa dreißig Minuten nach unserer Ankunft am Gipfel wieder aufbrachen. Und schon auf den ersten Metern am Grat war klar, dass das Gewölk mit großer Geschwindigkeit anwuchs und uns gleichzeitig immer näher kam. Mit dieser Schnelligkeit hatten wir nicht gerechnet. In Gedanken an das heftige Gewitter am Vortag war es in der Folge nicht leicht, im anspruchsvollen Gelände konzentriert abzusteigen, doch Unbesonnenheit hätte uns auch nicht weitergeholfen.


Im steilsten Abschnitt der Rinne entschlossen wir uns zudem, einige Meter abzuseilen, um hinsichtlich Absturzgefahr auf der sicheren Seite zu sein. Uli und ich machten den Anfang. Aus der Rinne herrschte akute Steinschlaggefahr, also sicherten wir uns nach dem Abseilen außerhalb des Gefahrenbereichs selbst und warteten. Wie lange zwei weitere Abseiler dauern können, wird einem erst bewusst, wenn alles in einem schreit, dass man weitergehen möchte. Während wir aber zum Nichtstun verdammt waren, konnten wir die Wolkenentwicklung genauestens beobachten. Minuten um Minuten vergingen. Das sah wirklich nicht gut aus. Und wir hatten ja gerade einmal die Hälfte des anspruchsvollen Teils geschafft.


Nach einer gefühlten Ewigkeit waren wieder alle beisammen und es konnte endlich weitergehen. Den Schiefen Gang bewältigten wir auch im Abstieg ohne Seilsicherung, was dank absoluter Konzentration sogar einigermaßen ohne weiche Knie vonstatten ging.


Mit jedem Meter, den wir schließlich näher an den "Ausstieg" kamen, wurde ich ruhiger - auch wenn natürlich klar war, dass wir dann noch immer nicht aus der Gefahrenzone heraus sein würden. Doch wir würden endlich Gas geben können. Am Materialdepot sammelten wir unsere restliche Ausrüstung auf und stiegen zügig Richtung Villergrube ab. Zunächst über steile Grasmatten, dann durch Geröll und schließlich immer flacher werdend in gutmütigeres Gelände.

Und das Wetter? Das hatte sich wohl entschlossen, doch nur bei einem kleinen Schauer zu bleiben und alsbald sogar die Sonne wieder zum Vorschein kommen zu lassen. Was für ein Arschloch!


Andererseits konnten wir uns nach dem gut anderthalbstündigen hochkonzentrierten Abstieg so noch einmal völlig entspannen und eine weitere ausgedehnte Pause genießen. Auf diesem Weg war auch die Anspannung schnell wieder vergessen.

Weiter hinab ging's weglos im mit hohem Gras bewachsenen teils ziemlich steilem Gelände, was nochmals einiges an Nerven kostete - den wohl vorhandenden Pfad ab der Kreuzung des Höhenwegs fanden wir leider nicht. Unten angekommen gönnten wir uns daher eine weitere Pause mit Kaiserschmarrn und Kaffee auf der Terrasse der Almwirtschaft Oberiss, bevor wir uns nach einem ereignisreichen Wochenende schlussendlich wieder auf den Nachhauseweg begaben.

  • Tourdatum: Sonntag, 27.08.2017 (>>> Tour am Samstag)
  • Zeitbedarf: Franz-Senn-Hütte - "Einstieg" Normalweg ca. 2,5 Stunden, Einstieg - Gipfel ca. 1,5 Stunden, Abstieg zurück zum Einstieg ebenfalls ca. 1,5 Stunden, weiterer Abstieg über Villergrube zur Oberissalm 2-2,5 Stunden; Gesamt: 7,5 bis 8 Stunden
  • Höhenmeter: 940 im Aufstieg, 1340 im Abstieg (davon jeweils gut 200hm im sehr anspruchsvollen Gelände)
  • Fazit: Ein toller Berg! Der Aufstieg verlangt den versierten Bergsteiger, der bis II+/III- sicher seilfrei klettert. An vielen Stellen wäre zwar eine Seilnutzung möglich (Bohrhaken und Sauschwänze), was aber schnell zeitlich ein Problem werden kann. Die Orientierung ist wenig problematisch (Steinmänner und Haken), sobald man den Einstieg (einzige Markierung) gefunden hat. Auch das sehr steile Grasgelände vor dem Einstieg ist nicht zu unterschätzen - wobei vermutlich auch ein Begehen des gesamten Südgrats ab dem Horntaler Joch möglich ist.

Gefühlsmäßig werden mir neben meiner Freude über die gelungene Besteigung sicher die Augenblicke des Wartens während der Abseilaktion noch lang in Erinnerung bleiben. Denn diesen Moment der Hilflosigkeit zähle ich ohne Übertreibung zu den beklemmentsten Erfahrungen meinerseits am Berg.

Kommentare

  1. Glückwunsch zu diesem tollen Gipfel, der auch auf meiner Wunschliste ziemlich weit oben steht!

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